Vor 70 Jahren - Heimkehr des letzten Niedergailbacher Kriegsgefangenen
  

In Folge des Zweiten Weltkrieges gerieten insgesamt rund 11 Millionen deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Von den Kriegsgefangenen in der Sowjetunion kehrten etwa 2 Millionen heim. 1,3 Millionen Gefangene kamen um oder gelten als vermisst. Ein Großteil der in Russland gefangenen Deutschen wurde 1949/50 entlassen. Dabei war auch der Niedergailbacher Josef Höllinger.

 



 So ging Anfang Januar 1950 – also vor genau 70 Jahren - nachfolgende Meldung der Amtsverwaltung Walsheim - Niedergailbach gehörte damals zum Amtsbezirk Walsheim - an die Kreisverwaltung Homburg:

„Zur großen Freude des ganzen Ortes und insbesondere seiner Angehörigen kehrte dieser Tage der ehemalige Wehrmachtsangehörige Josef Höllinger nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurück. Der Heimgekehrte ist der letzte Kriegsgefangene aus unserem Ort, der mit seinen Angehörigen in brieflicher Verbindung stand.

Als vermisst gelten in unser Gemeinde noch 10 ehemalige Wehrmachtsangehörige, die an ihre hier wohnenden Angehörigen noch keine Nachricht gegeben haben.“

Josef Höllinger kehrte am 6. Januar 1959 aus russischer Gefangenschaft in seinen Heimatort Niedergailbach zurück. Spätheimkehrer Josef Höllinger gehörte zu den 3,3 Millionen Wehrmachtssoldaten, die in russische Gefangenschaft gerieten. Wie für hunderttausende deutscher Kriegsgefangener waren mit der Heimkehr für Josef Höllinger Jahre der Entbehrung, der Angst, des Leidens und Hungerns zu Ende gegangen. Der Spätheimkehrer teilte während seiner Gefangenschaft das Schicksal mit vielen tausend Soldaten, die irgendwo in der Weite Sibiriens gefangen gehalten wurden: Lagerjahre, Demütigungen, Zwangsarbeit, Krankheit, Frost und Schlafen auf blanken Brettern. 

Josef Höllinger wurde am 21. Mai 1924 als viertes von acht Kindern der Eheleute Jakob und Anna Höllinger geboren. Nach seiner Schulzeit und einigen Monaten Landhilfe begann er eine Schmiedelehre bei dem Schmiedemeister Heinrich Blinn in Hornbach. Bedingt durch die Evakuierung setzte er zunächst im thüringischen Niederroßla ( von Oktober 1939 bis Mai 1940) seine Lehre fort. Nach der Rückkehr aus der Evakuierung schloss er am 5. Oktober 1942 die Schmiedelehre mit der Gesellenprüfung ab. Bereits 8 Tage später wurde er als 18-jähriger zum Wehrdienst eingezogen. Beim Abschied damals - als gerade einmal 18-jähriger - dachte er sicherlich nicht daran, dass es ein Abschied von Familie, Freunden und seiner Heimat von über sieben Jahren werden würde.

Zunächst war er in Stettin stationiert, wo er sich bei Rangierarbeiten im Bahnhof eine schwere Verletzung zuzog. Anschließend war Josef Höllinger bis Kriegsende an der Ostfront im Einsatz. Am 8. Mai 1945 hörte zwar das Kämpfen auf den Kriegsfeldern auf. Doch mit dem formalen Ende des Krieges waren Gewalt und Angst noch lange nicht vorbei. Zwei Tage nach Kriegsende – am 10. Mai 1945 - geriet er in Masuren in die Hände der Roten Armee. Nach einer tagelangen Zugfahrt in Viehwaggons und langen Fußmärschen - dabei wurden die Gefangenen auch durch Moskau „getrieben“ - hatten sie das erste Gefangenenlager am Ural erreicht. Während seiner Gefangenschaft war er in verschiedenen sibirischen Lagern weit hinter dem Ural zur Zwangsarbeit verpflichtet. In den einzelnen Lagern waren teilweise 5000-6000 Gefangene inhaftiert. Lediglich zwei, drei Briefe erreichten während dieser Zeit die Familie in Niedergailbach, so sein Bruder Edwin. Für die Familie galt die Post zumindest als ein Lebenszeichen von ihrem Sohn.

Sein Beruf als Schmied war wohl mit ein Grund oder gar entscheidend, dass er die gefangenen Jahre überhaupt überlebt hatte. Während der „Russlandjahre“ musste er weitgehend in einer Schmiedewerkstatt arbeiten, so dass er zumindest tagsüber nicht der sibirischen Kälte ausgesetzt war. Die Nächte verbrachten die Gefangenen bei bitterer Kälte in einer zugigen Holzbaracke ohne Ofen.

In der Schmiedewerkstatt fertigte er Messer, Gabeln und Löffeln aber auch Eheringe an. Soweit die abzuliefernde Arbeitsnorm erreicht war, tauschte er die Überbestände bei der Landbevölkerung gegen Nahrungsmittel ein. Dadurch konnte er die Lebenssituation und seine Überlebenschancen im Lager verbessern.

Daheim schwand bei seiner Familie die Hoffnung auf ein Wiedersehen, nachdem sein Vater im Jahre 1947 von einem entlassenen Mitgefangenen erfahren hatte, dass sein Sohn Josef zu 25 Jahren Arbeitserziehungslager verurteilt worden sei.

Um so größer war die Freude als am 5. Januar 1950 die Postbotin Lenche Häring ein Telefgramm mit der Nachricht überbrachte, dass der Sohn und Bruder in den nächsten Tagen nach Hause komme. Nach tagelanger Fahrt durch Russland, Polen, an Berlin vorbei, passierte der Zug bei Herleshausen die DDR-Grenze. Noch 70 km, dann endlich war am 5. Januar 1950 das Grenzdurchgangslager Friedberg erreicht worden.

Sein damals 14-jähriger Bruder Edwin erinnert sich noch genau an den Tag der Heimkehr. Drei, vier Mal war er am 6. Januar 1950 zum Gersheimer Bahnhof gelaufen, bis er endlich am Nachmittag seinen Bruder und seinen Vater (dieser holte seinen Sohn am Homburger Bahnhof ab) freudig empfangen konnte. Der einzige Besitz des damals fast 26-jährigen bei der Heimkehr: ein „Holzkoffer“ mit gebrauchter Kleidung, russischen Zigaretten und einige Dosen russischen Tees. Am Abend, so sein Bruder Edwin, sei dann in der Gastwirtschaft Wilbert mit Freunden die Heimkehr gefeiert worden.

Der Zweite Weltkrieg hatte Josef Höllinger über sieben Jahre seines Lebens gekostet, sieben verlorene Jahre. Bei seiner Heimkehr im Januar 1950 musste er feststellen, dass sich vieles verändert hatte. Er traf auf seine Familie, in der nichts mehr so war, wie im Jahr 1942 als er in den Krieg zog. Sein Heimatdorf, in dem er seine Kinder- und Jugendjahre verbracht hatte, erkannte er wohl kaum mehr. Das Dorf war durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zu 80 % zerstört. Auch die Menschen, seine Eltern, die Geschwistern, die Nachbarn und Schulkameraden hatten sich während seiner Gefangenschaft verändert bzw. lebten nicht mehr.

Besonders hart hatte der sinnlose Krieg die Familie Jakob und Anna Höllinger getroffen. Zwei Brüder von Josef kehrten nicht mehr aus dem Krieg nach Hause: Theodor, geb. am 19. Juni 1920 gefallen am 12. März 1944 in Kolkischkino, Russland, Richard, geb. am 06. September 1926 gefallen am 01. Septemer 1944 in Basilly, Belgien. Sohn Walter ist während der Evakuierung in Apolda an Blutvergiftung gestorben.

Nach einer Kur arbeitete Spätheimkehrer Josef Höllinger ab 8. Mai 1950 bei der Firma Dingler in Bierbach und später in Zweibrücken. Dort war er bis zum Renteneintritt als Schweißer beschäftigt. Nach der Eheschließung am 17. Oktober 1952 mit seiner Ehefrau Hedwig geb. Vogelgesang lebte er bis zu seinem Tod am 5. Januar 2012 in Reinheim. Aus seiner Ehe gingen die Kinder Annemarie, Theo und Christine hervor. Wie viele Kriegsgefangene hatte auch er nur wenig über diese harte Zeit in Russland gesprochen, so Tochter Christine.

Otmar Gros

 

Bild 1: Die Familie Höllinger - die Aufnahme entstand im Jahre 1940 in Apolda. Die Familie Jakob Höllinger war zu diesem Zeitpunkt noch vollzählig. v.l. Viktor, Ludwina, Walter, Theresia, die Eltern Anna und Jakob, Edwin, Theodor, Josef und Richard.

Bild 2: Josef Höllinger in Wehrmachtsuniform.


 

 
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