Evakuierung der Niedergailbacher Dorfbewohner
Erinnerungen an die Evakuierung der Niedergailbacher Dorfbewohner zu Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 – vor 80 Jahren

        

 

Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, begann mit den Überfall Deutschlands auf Polen der Zweite Weltkrieg. Und genau an diesem Septembertag setzte in der sogenannten „Roten Zone“ die große Evakuierung ein, bei der Tausende zwangsweise ihre Heimat verlassen mussten. In dieser „Roten Zone“ - einem Kampfgebiet hinter dem Westwall - lag auch Niedergailbach. In der Frühe des besagten 1. September ging der Gemeindediener Nikolaus Anna mit der Schelle durch den Ort und gab den Befehl zur Zwangsräumung von Niedergailbach weiter. Betroffen waren Frauen und Kinder sowie die älteren Männer. Zwar war die Evakuierung bis zuletzt streng geheim gehalten, jedoch verspürte man im Ort in den Tagen vor dem Freitag, 1. September 1939 eine gewisse Vorahnung. So berichteten bei Zusammenkünften mit Zeitzeugen die damals zwölfjährige Luise Seibert (geb. Wack) und die gleichaltrige Rosa Schiel (geb. Anna), dass in den Tagen zuvor im Ort immer wieder die Männer in Gruppen zusammengestanden hätten und sehr angespannt diskutierten.

 

In Niedergailbach lebten damals in 114 Haushalten 462 Menschen, davon 241 weiblichen - und 221 männlichen Geschlechts.  Eilends mussten sich die Dorfbewohner zum Abtransport bereit machen.  Denn, so berichten Zeitzeugen, bereits um 10.00 Uhr standen in der Dorfmitte Busse und LKW`s bereit, um die Menschen in „sichere“ Regionen zu bringen. Einige Dorfbewohner hatten auch in Eigenregie den Weg in die „Fremde“ aufgenommen. Wie zum Beispiel  Gustav Gros, der mit seinem Pferdefuhrwerk bis nach Eisenach fuhr und nach seiner Ankunft dort seine Pferde verkauft habe, so Tochter Rosa, die mit ihrer Mutter Thekla am allgemeinen Transport teilnahm.

 

Die Niedergailbacher mussten damals ihre Häuser  mit der kompletten Einrichtung zurücklassen. Mitgenommen werden konnte nur das „Nötigste“, teilweise in Kopfkissen und Bettlaken verstaut. Auch das Vieh blieb in den Ställen zurück. Die Versorgung der zurückgelassen Tiere mit Futter organisierte anfangs Franz Sand mit noch einigen „Daheimgebliebenen“. Aber auch Nikolaus Anna, Karl Krämer, August Zäh, Peter Buhr, Josef Oberinger I., Fritz Krämer, Albert Rauch und Friedrich Buchheit, die zwar beim Grenzschutz im Walsheimer Wald „lagen“, kehrten abends zur Fütterung der Tiere in das Dorf zurück, so die Zeitzeugin Katharina Schiel, geb. Rauch. Später wurden die Stalltüren geöffnet und das Vieh trieb wild umher und blieb sich selbst überlassen.

 

Der damals zwölfjährige Arthur Vinzent erinnerte sich noch sehr genau an den Evakuierungsfreitag:  „bevor es in die Fremde ging, sei er um 7.00 Uhr während der Heiligen Messe mit Pfarrer Nikolaus Schreieck noch als Messdiener im Einsatz gewesen.“ Für die Betroffenen begann eine Reise ins Ungewisse – so wurden die meisten Dorfbewohner plötzlich Flüchtlinge.  Am ersten Tag ging es für einen Großteil bis Kaiserslautern und in die umliegenden Ortschaften, wo die erste Nacht in der Fremde in Schulen verbracht wurde. Von dort aus erfolgte am nächsten Tag der Weitertransport mit dem Zug. Die Evakuierungsgebiete für die Niedergailbacher waren vorwiegend Thüringen, Mainfranken und die Oberpfalz aber auch im Odenwald und im Schwäbischen waren unsere Dorfbewohner untergebracht. Die gerade einmal zwei Wochen alte Hedi Göbel, geb. Feuerstein war der „jüngste Niedergailbacher Flüchtling“. Sie fand mit ihrer Mutter Cäcilia und Bruder Günter in Gemünden am Main Unterkunft. Sehr gut kann sich noch der damals fast 6-jährige Edwin Anna an die Evakuierungszeit im oberpfälzischen Waldsassen erinnern, wo er erstmals eine Kirche mit zwei Türmen sah. Auch die Preiselbeerernte mit den Oberpfälzern war für ihn etwas Neues.  Die meisten Evakuierten arbeiteten in der Fremde in der Landwirtschaft mit. Einige Männer konnten ihren Beruf ausüben. So der damals 34-jährige Adolf Rebmann, der aufgrund einer Knieverletzung nicht wehrtauglich war. Er arbeitete von Mitte September 1939 bis Mitte Oktober 1940 in seinem Beruf als Schuhmacher im Schuh-Haus Carl Steinach in Apolda.

 

Das Zusammenleben mit den „Gastgebern“ , so die Zeitzeugen, sei unterschiedlich gewesen. Weitgehend seien die „Vertriebenen“ sehr freundlich bei den Gastfamilien aufgenommen worden, teilweise sei aber auch eine gewisse Abneigung entgegengebracht worden. Kontakte zu ihren damaligen Gastgeberfamilien wurden in nicht wenigen Fällen noch Jahrzehnte nach Kriegsende gepflegt.

 

Durch die Evakuierung lebten auch Familienmitglieder teilweise über Monate getrennt von einander. Bedingt durch die Evakuierung lag für nicht wenige Niedergailbacher der Geburtsort in der Fremde, etwa im thüringischen Erfurt, Apolda, Sonnenberg oder Greiz, im fränkischen Lichtenfels oder Oberwallenstadt bzw. im oberpfälzischen Tirschenreuth oder Waldsassen usw.  Erster Neugeborener Niedergailbacher „in der Fremde“ war Franz Wilbert, der am 10. September 1939 in Rottenburg am Neckar das Licht der Welt erblickte.

Wie Zeitzeugen weiter berichteten, begann  ab Herbst 1940 die Heimkehr der Niedergailbacher. Bis Januar 1941 waren dann alle Evakuierten wieder in ihrer Heimat zurück und das Leben im Ort normalisierte sich allmählich. Bevor im Spätherbst 1944 die Niedergailbacher zum zweiten Mal ihre Heimat verlassen mussten. Die zweimaligen Evakuierungen haben auch dazu geführt, dass  einige aus der Zivilbevölkerung ihre letzte Ruhestätte „in der Fremde “ gefunden haben. Hinzu kommen die 40 gefallenen bzw. vermissten Soldaten, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkehrten.

Otmar Gros

 

 

 

 Bildtext: Eine Gruppe Niedergailbacher, die sich nach dem Sonntagsgottesdienst im thüringischen

                Apolda zusammengefunden hat.

 
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